Die Scheu vor dem modernen Plakat überwinden
Zu einer Ausstellung in der Neuen Sammlung München
»In zwei Ländern vor allem, in Polen und in Deutschland, sind im letzten Jahrzehnt, etwa seit dem Beginn der fünfziger Jahre, Filmplakate geschaffen worden, die zu den bemerkenswertesten Leistungen der Gebrauchsgrafik unserer Zeit gehören«. Diese Feststellung triff Wend Fischer, der Direktor des Staatlichen Museums für angewandte Kunst »Die neue Sammlung« in München, im Vorwort zu einer Ausstellung »Filmplakate«. Die bemerkenswerte Schau, die mit ideeller und finanzieller Hilfe des Deutschen Instituts für Film und Fernsehen zustande gekommen ist, wurde im Oktober eröffnet und bleibt noch bis zum 21. November zugänglich.
Das Plakat ist eines der bedeutendsten Mittel der Filmwerbung. Es soll ein Ereignis ankundigen, es soll informieren und neugierig machen, es soll Wirkungen provozieren, die über die Aussage der bloßen Illustration und Textierung weit hinausgehen. Die »Neue Sammlung« möchte mit der Münchner Ausstellung von Filmplakaten die Bemühungen um das gute Filmplakat (und damit auch die Bemühungen um den guten Film) ins rechte Licht rücken, heißt es in dem als vorzügliche Biddokurnent.ation gestalteten Ausstellungskatalog. Deutsche und polnische Filmplakate aus unseren Tagen bilden den Kern der Schau. Sie gestattet auch einen reizvollen historischen Rückblick. Einen Rückblick, der gleichzeitig deutlich macht, daß es keine kontinuierliche Tradition des guten Fimp’lakats gibt, sondern nur die Leistungen einzelner Grafiker.
Theaterbesitzer gaben Impuls
Die glücklichen Begegnungen, die zur Harmonie zwischen einem gestalterisch begabten Grafiker und einem künstlerisch aufgeschlossenen, modern denkenden Auftraggeber führen, sind offenbar schon immer selten gewesen. Interessanterweise waren es in den Jahren des Stum rnfilms vor allem einzelne Filmtheaterbesitzer, die dem außergewhnlichen Filmplakat eine Entwickliungsmöglichkeit boten. Zwei Musterbeispiele hierfür sind die zahlreichen Ausstellungsstücke aus der Mappe Josef Fennekers, die von 1920 bis 1922 ausschließlich für das Berliner Marmorhaus entstanden sind, und dann die einige Jahre jüngeren Plakate Jan Tschicholds für den Münchner Phoehus-Palast. Erstmals nutzte Tschichold dabei die Möglichkeiten der Fotomontage. N im mt ma n noch einige Plakate von Ernst Deutsch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hinzu, die in expressiver Art vor allem den Filmen Asta Nielsens galten, so hat man den Dreiklang der großen Namen damaligen Filmplakat-Schaffens.
Was in den dreißiger und vierziger Jahren an Filmplaikaten, speziell in Deutschland, entstand, ist von der grafischen Gestaltung her gesehen unerheblich, haben die Veranstalter der ‚Münchner Ausstellung festgestellt. Erst nach 1950 beginnt ein neuer Abschnitt hervorragenden Schaffens, der in der Bundesrepublik zunächst aus der glücklichen Konstellation herrührte, die das Miteinander des Grafikers Professor Hans Hillmann und des Verleihers Walter Kirchner schuf. Kirchner, der mit seinen Filmen vor allem die anspruchsvolleren Kinogänger erreichen wollte, erkannte sehr schnell, daß ihm dabei die konventionellen Werbemethoden der Filmindustrie nicht weiterhelfen konnten. Das künstlerisch gestaltete Filmplakat hingegen vermag das Ansehen, den Wert eines Films sehr ‚wohl zu ‚heben.
Die Linie der 60er Jahre
Eine neue, breiter angelegte Entwicklung begann 1960, als auch der Atlas-Filmverleih in den von Verleihkaufleuten und Theaterbesitzern nicht u nwesentlich mitbestimmten Mechanismus der Filmwerbung eingriff. Hans Michel, Günter Kieser, Karl Oskar Blase, Heinz Edelmann und vor allem Dorothea und Fritz Fischer-Nosbisch kreierten eine Filmplakatwerbung, die bald nicht allein mehr auf Atlas beschränkt blieb, sondern schüchtern auch in den Werbeabteilungen anderer Filmgesellschaften Platz griff. Die Ausstellung zwar hält diese meist gewiß noch etwas zaghaften Ansätze, abgesehen von ein paar Arbeiten des Amerikaners Saul Bass, noch nicht für prösentationswürdig. Für die Filmwirtschaft jedoch sind sie wichtig genug, weil sie zeigen, wie langsam die in Verleiih und Theaterbesitzerkreisen anzutreffen-de Scheu vor dem modernen, gut gestalteten Plakat schwindet. Zwar fehlt es nach wie vor nicht an dem Hinweis: draußen in der Provinz »geht so etwas nicht.« Man macht darum von vornherein ein zweites, konventionelles Plakat. Und wenn der Theaterbesitzer au dem Land dann, vor die Wahl gestellt, nach dem knallbunten, naturalistisch gepinselten Sujet greift, meint man die Bestätigung für die Richtigkeit solchen Tun’s gefunden zu haben.
Dabei weiß man doch längst, daß zum Beispiel auch Atlas mit seinen Plakaten Besucher aller Schichten locken will – und auch tatsächlich lockt. Natürlich ist die Resonanz auf die ungewahnten, nach modernen Prinzipien der Gebrauchsgrafik gestalteten Filmplakate unterschiedich. Immer wieder wird es Theaterbesitzer geben, die solche Plakate überhaupt gar nicht erst aushängen, weil sie ihren persönliichen Geschmack zum Maß aller Dinge machen. Das mag gut dort sein, wo Film als reine Zerstreuung und Unterhaltung an den Mann gebracht werden soll. Wo hingegen der gute Film, der von künstlerischen Gedanken bewegte Film, der Werbung bedarf (auch wenn er einzig »nur« unterhalten will), dort wird man auf die Dauer auch nicht ‚auf das gute Plakat verzichten können. Freilich muß dabei auch bedacht werden, daß es nicht genügt, das gute Plakat irgendwo und irgendwie anzuheften. Aber damit kommen wir schon in die Gefilde eines anderen Themas, das wahrhaftig auch ein weites Feld ist…
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