FilmKunstGrafik
»In wenigen Gebieten der Gebrauchsgrafik ist die Diskrepanz zwischen hoher Qualität und minderwertigem Machwerk so groß und so offensichtlich wie im Bereich des Filmplakats. Litfaßsäulen und Plakatwände werden von marktschreierisch lauten, in Bild und Wort Superlativ an Superlativ reihenden Plakaten beherrscht, deren reißerische Banalität kaum noch zu unterbieten ist. In den Aushangkästen und Vorräumen mancher, meist kleinerer Filmtheater sieht man dagegen grafisch hervorragende Plakate, auf deren intelligent und sensibel, leise und eindringlich der Charakter, das Fluidum eines Films interpretiert ist. Während dort mit primitivstenMitteln die Amüsierbegierde angestachelt und aufgepeitscht wird, werden hier Interesse und Phantasie für ein künstlerisches Ereignis wachgerufen. Es sind zwei Welten – nicht nur des Plakats, sondern auch des Films.«
Die ersten Zeilen von Wend Fischers Vorwort anlässlich der Ausstellung »Filmplakate«der Neuen Sammlung in München aus dem Jahr 1965 bringen die Situation der Filmwerbung Mitte der sechziger Jahre auf den Punkt. Es gab einst nicht nur die Trennung zwischen kommerziellem und künstlerischem Film, sondern auch zwei gegensätzliche Ansätze zur Werbung für den Film. Während die bunten Kitschplakate zu Cinemascope-Schinken oder Heimatfilmen in Veröffentlichungen und Ausstellungen regelmäßig beweihräuchert werden, ist es um die grafische Gegenbewegung jener Zeit still geworden. Die Jahre zwischen 1953 und 1974 stellen eine kontinuierliche Phase anspruchsvoller Filmplakate in Deutschland dar, die es weder zuvor noch danach in dieser Konsequenz gab. Mit dem Projekt »FilmKunstGrafik« möchten wir dieses wichtige Kapitel der Design- und Filmgeschichte in Erinnerung rufen und der Geschichte der neuen deutschen Filmgrafik zu einer längst überfälligen Würdigung verhelfen.
1953 beginnt die Ära moderner Filmplakate in Deutschland mit der Gründung der Firma Neue Filmkunst Walter Kirchner. Der Filmkaufmann Walter Kirchner gründet gemeinsam mit Werner Schwier und Ernst Liesenhoff – nach dem gemeinsamen Engagement im studentischen Filmclub der Universität Göttingen – ein Verleihunternehmen, das sich ganz dem anspruchsvollen Film verschrieben hat. Für die außergewöhnlichen Filme von Luis Buñuel oder Jean Renoir möchte man auch angemessen werben. Auf der Suche nach einem geeigneten Grafiker treten die Jungunternehmer an Hans Leistikow heran, der im nahegelegenen Kassel eine Professur an der Staatlichen Werkakademie inne hat. Statt den Auftrag selber anzunehmen, formuliert er aus der Anfrage einen studentischen Wettbewerb. Ein Plakat für den französischen Film »Das Leben beginnt morgen« soll gestaltet werden. Es gewinnt Hans Hillmann, der auch weitere Wettbewerbe für sich entscheiden kann und nach einigen Jahren den Gesamtauftrag für alle Drucksachen der Neuen Filmkunst erhält.
Hillmann wird zur Lichtgestalt des deutschen Filmplakats. Er versteht es, die teils komplexen Filmwerke in einem markanten Bild zu fixieren. Seine Plakate werden zu Signalen und bilden im Gegensatz zu den Kommerzplakaten nicht einfach ab. Die ersten Plakate fertigt er im Linolschnitt an und lässt sie im Siebdruck herstellen. Mit der fortschreitenden Technik jener Jahre hält die Fotografie Einzug ins Filmplakat und erlaubt neue Ausdrucksformen. Durch die Weitergabe von Plakataufträgen an befreundete Grafiker, wie Isolde Monson-Baumgart oder Wolfgang Schmidt belebt Hillmann das Filmplakat weiter. Schmidt ist es zum Beispiel, der mit der Idee, direkt von der Leinwand abzufotografieren, eine völlig neue Bildsprache erfindet.
Die Plakate, die in diesen Jahren für die Filmkunst-Meisterwerke des kleinen Göttinger Verleihs entstehen, werden international mit Preisen ausgezeichnet und in Ausstellungen gefeiert. Das Geheimnis dieses Erfolgs ist einfach: Es gibt keine oder kaum Einmischung der Verleihverantwortlichen. Die Nennung des Filmtitels und manchmal einiger Mitwirkender sind die einzigen Vorgaben. Die Grafiker können die Filme in Vorab-Vorführungen anschauen und sich dann dem Gestaltungsprozess widmen. Bis zur endgültigen Abgabe des Plakats bleiben oft Wochen oder Monate Zeit – paradiesische Arbeitsverhältnisse für die Gestalter mit entsprechenden Ergebnissen. Hillmann und seine Kollegen bringen die deutsche (Film)Plakatkultur auf ein Niveau, das zuletzt in den zwanziger Jahren mit den Arbeiten von Tschichold oder Fenneker erreicht wurde.
1959 bekommt der Duisburger Kinobetreiber Hanns Eckelkamp als Mitarbeiter des Filmverleihs Sonder-Film die Chance, den Western »12 Uhr mittags« erneut in die Kinos zu bringen. Er setzt sich dafür ein, dass der Film nicht nur in die Action-Kinos sondern auch in die Filmkunst-Theater kommt. Von dem Gestalterehepaar Fritz Fischer und Dorothea Fischer-Nosbisch lässt er ein neues Plakat gestalten, und tatsächlich spielt der Film in den Filmkunst-Häusern deutlich mehr ein. Das Potential der Wiederaufführungen erkennend, gründet er im Jahr darauf den Atlas Filmverleih. Nach dem Vorbild der amerikanischen Otto-Preminger-Filme und ihrer Gesamtgestaltung durch den Grafiker Saul Bass, bekommt jeweils ein Grafiker oder Grafiker-Duo von Atlas den Auftrag, alle Werbemittel für einen Film zu entwerfen – vom Plakat bis zum Vorspann. Eckelkamp engagiert vor allem Grafiker von novum, einem 1958 durch die Initiative der Fischer-Nosbischs gegründeten Zusammenschluss der besten deutschen Gebrauchsgrafiker, darunter Hans Hillmann, Hans Michel und Günther Kieser, Karl Oskar Blase und Wolfgang Schmidt. Auch bei Atlas erhält jeder Grafiker nahezu komplette Freiheit bei der Gestaltung. Im Gegensatz zur Neuen Filmkunst richtet sich der Duisburger Verleih mit seinem Filmangebot an eine breitere Masse und ist daher auch bei seinen Werbemaßnahmen mit einem größeren Budget ausgestattet. Bei Atlas setzt man nicht nur auf neuartige Marketingkonzepte, man leistet sich oft mehrere unterschiedliche Motive und zur deutschen Erstaufführung von »Die sieben Samurai« mit etwa drei mal zwei Metern sogar das größte deutsche Filmplakat aller Zeiten.
Die Filme der Neuen Filmkunst und von Atlas Film prägen eine ganze Generation von Zuschauern, die Plakate werden Markenzeichen als Gegenentwurf zum Jahrmarkt-Kino. In den frühen sechziger Jahren geht es den beiden Filmverleihern gut, Atlas Film startet 1964 mit Ingmar Bergmans »Das Schweigen« gar den erfolgreichsten Film des Jahrzehnts. Der Erfolg der ersten Jahre führt dann leider zu einem übersteigerten Enthusiasmus. Eckelkamps Atlas Film übernimmt sich Ende der sechziger Jahre mit der Finanzierung eigener Produktionen, und Walter Kirchners Idee, die Filme in einer eigenen Kinokette im gesamten Bundesgebiet zu zeigen, führt Mitte der siebziger Jahre auch zum Aus der Neuen Filmkunst. Die beiden Filmverleiher können sich zwar in den folgenden Jahren sanieren und mit neu gegründeten Firmen neue Erfolge feiern, das Bemühen um die gute Filmgrafik endet jedoch.
Was bleibt, sind über 500 Plakate und unzählige weitere Werbemedien wie Programmhefte, Kinodias, Zeitungsanzeigen, die in ihrer Qualität noch heute beeindrucken und begeistern. Mit der großen Unterstützung des Filmmuseums Düsseldorf und des Deutschen Filminstituts DIF e.V. /Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main, sowie privater Sammler war es möglich, die Werbemittel der Neuen Filmkunst und Atlas Film nahezu vollständig zusammenzutragen. Durch eine aufwändige Recherche in historischen Fachzeitschriften und Verleihkatalogen wurde versucht, alle Plakate korrekt zu datieren. In den Bildunterschriften aufgeführte Jahreszahlen listen das Jahr, in dem das jeweilige Plakat zum ersten Mal im Kino hing. Die in den folgenden Kapiteln enthaltenen Zitate stammen zumeist aus Gesprächen, die im Rahmen des Projekts »FilmKunstGrafik« mit den beteiligten Grafikern, Filmverleihern und Zeit-zeugen geführt wurden. Nur durch ihre Unterstützung war es möglich, diese Ära so umfassend aufzuarbeiten und lebendig zu dokumentieren. Ihnen und ihren Familien gilt unser besonderer Dank und ist dieses Buch gewidmet.
Projektgruppe »FilmKunstGrafik«
Düsseldorf, im November 2007
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