Hans Hillmann – Filmplakate
Das Gespräch führte Christoph Hochhäusler im Rahmen der Veranstaltung REVOLVER LIVE! am 13.11.2007 in der Berliner Volksbühne. Transkription: Sophie Narr/Verlag der Autoren. Gekürzt und bearbeitet von Christoph Hochhäusler.
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ABEND DER GAUKLER
(Regie: Ingmar Bergman, Schweden 1953)
Plakat: Hans Hillmann 1958
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Hillmann: Deutschland war eine ziemliche Kinowüste damals, Anfang der 50er Jahre, als die „Neue Filmkunst“ gegründet wurde von Walter Kirchner und dem künstlerischen Leiter Werner Schwier. Als Professor Hans Leistikow – unter dem ich damals studierte – von Kirchner 1952 aufgefordert wurde, Plakate zu machen, hat er daraus einen Klassenwettbewerb der Studenten gemacht. Und so habe ich die ersten dieser Filme gesehen und angefangen, Filmplakate zu machen. Das ist ja ein zweifacher Verdienst gewesen: Einmal haben Herr und Frau Kirchner und Herr Schwier diese wichtigen Filme herausgebracht, die man sonst nicht sehen konnte – von Frankfurt oder Berlin aus war das nächste Filmmuseum die Cinématique in Paris. Zum anderen aber waren sie der Meinung, dass man Filmkunst auch künstlerisch vermitteln müsse. Jedenfalls kamen so die ersten Wettbewerbe zu Stande. Als ich mir diese frühen Arbeiten im Vorfeld noch einmal angesehen habe, habe ich festgestellt, dass sie fast alle den Titel visualisieren, auch wenn der natürlich nicht unbedingt identisch ist mit dem Thema eines Filmes. Das Plakat zu „Abend der Gaukler” ist im Grunde genommen eine Fortsetzung des Titels, der aus Worten besteht, im Bild – also die Fortsetzung dessen, was das Wort aussagt. Ähnlich verhält es sich bei „Sturm über Asien” oder „Hafen im Nebel”.
Hochhäusler: Sie haben jeweils einen ziemlich pauschalen Auftrag bekommen. Wie ging das genau vor sich?
Hillmann: Das ging so, dass ich einen Anruf bekam und dann wurde vereinbart, wo ich den Film sehen konnte. Das war in der Regel am Nachmittag, wenn das Kino leer war. Und dann fuhr ich da hin, wo immer das war, in Frankfurt, Kassel oder Göttingen. Ich habe mir den Film angesehen und neben mir eine Kamera auf dem Stativ aufgestellt, eine Rollei. Und während der Film lief, habe ich dann Fotos gemacht. Wenn ich Glück hatte, kannte ich bereits die Geschichte, wusste, worum es in dem Film ging. Aber das war nicht immer der Fall, manchmal habe ich auch Filme gesehen, von denen ich keine Ahnung hatte. Dann habe ich einfach alles aufgenommen, was mir an Bildern wichtig erschien. Diese Methode hat sich sehr bewährt, weil diese Bilder eine andere Qualität haben. Ich weiß nicht, wie das heute ist beim Filmemachen, aber früher war es bei Spielfilmen so, dass die Schauspieler zurück ans Set mussten, wenn eine Szene abgedreht war, um für den Fotografen zu posieren. Dass diese „Standbilder“ dann meistens schwächer waren, lässt sich leicht denken. Auf der anderen Seite waren diese Stills technisch natürlich viel perfekter als meine im Kino geschossenen, weil sie mit einer großformatigen Kamera aufgenommen wurden.
Hochhäusler: Das hat etwas von einer geheimen Mission: Ein leeres Kino am Nachmittag, ein Film, ein Auftrag. Und dann gab es ja eine lange Zeit, oft Wochen, in der Sie reflektieren durften, bevor es zur Abgabe kam. Was mich vor allem interessiert ist die Frage, was in diesen Wochen passiert ist. Ich finde auffällig, dass sich ihre Plakate ganz tief mit den Filmen beschäftigen – mit den Geschichten, mit den Themen. Es sind erzählerische Plakate.
Hillmann: Man sieht ja hier an diesem Plakat „Abend der Gaukler“, dass zwei Bilder ablesbar sind auf größere Entfernung. Ich hatte die Vorstellung – in wieweit das dann klappt, weiß man ja nie so genau – dass man beim Lesen von „Abend“ den Mond sieht. Und wenn man beim Lesen von „Gaukler“ die Figur anschaut, sieht man eine Arena. Ich habe immer Skizzen gemacht von den Filmen und habe dann nachvollzogen, was noch alles passierte. Ich habe mir überlegt, was wichtig ist an einem Film und in diesem Fall waren die Worte des Titels „Abend der Gaukler“ sehr bestimmend für mich. Dann habe ich telefoniert und fuhr mit meinen Skizzen zum künstlerischen Leiter Werner Schwier, der zunehmend die Beurteilung der Plakate übernahm. Wir waren befreundet und haben uns gut verstanden. Zusammen haben wir uns die Entwürfe angesehen, die ich in Postkartengröße mitgebracht hatte. Es waren Zeichnungen in schwarzer, dicker Farbe, ziemlich grob aufgetragen. Zum Druck hab ich das Plakat in Linoleum geschnitten, auch die Schrift.
Nur die kleine Schrift und das Ding in der Mitte, das war ein Klischee. Ich weiß nicht, wen das heute noch interessiert, aber das wurde im Buchdruck gemacht.
Publikum: Wie hoch war die Auflage?
Hillmann: Das weiß ich nicht mehr. Aber mit dem Buchdruck konnte man problemlos 1000 Stück drucken. Ich habe die Platte geschnitten, geliefert und Angaben für die kleine Typographie gemacht, die noch hinein musste. Dann hat die Druckerei das Klischee gemacht und mit der Typographie kombiniert. In diesem Fall bin ich dann in Göttingen noch mal zum Andruck gewesen und habe alle Probleme besprochen.
Hochhäusler: Sie haben erzählt, dass es immer eine Einschätzung des Verleihs gab, wie „kommerziell“ ein Film sei – und daran war die Entscheidung für Farbe oder Schwarz/Weiß dann gebunden. Das heißt, es wurde Ihnen immer ein Kostenrahmen genannt?
Hillmann: Ja, das war wesentlich. Die Neue Filmkunst hatte nie viel Geld. Atlas Film war etwas besser dran. Das waren Kinobesitzer. Kirchner und Schwier dagegen haben bei Null angefangen. Sie waren Filmclub-Enthusiasten, im Unterschied zu mir übrigens. Mein Filminteresse ist erst durch diese Beschäftigung seit 1952 entstanden.
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STURM ÜBER ASIEN
(Regie: Wsewolod Pudowkin, UdSSR 1928)
Plakat: Hans Hillmann 1961
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Hochhäusler: Noch einmal zum Ablauf. Sie bekommen einen Auftrag: „Machen Sie ein schönes Plakat. Wir sehen uns in vier Wochen wieder.“ Sie sehen sich den Film an und dann … Haben Sie über den Film gelesen?
Hillmann: Wenn etwas da war. Bei Pudowkin zum Beispiel gab es Texte. Es war interessant, über Filmmontage zu lesen. Ich habe auch versucht, diese Ideen aufzugreifen, für mich, in einer gewissen Umformung. Das Plakat zu „Sturm über Asien“ war ein ungefährer Eindruck, den ich nach dem Sehen des Filmes hatte. Ob ich zu diesem Zeitpunkt schon Fotos von der Leinwand gemacht habe und ob da irgendeine Andeutung schon enthalten war, das kann ich heute nicht mehr sagen.
Hochhäusler: Wie kam es zu der Entscheidung, eine Zeichnung zu verwenden?
Hillmann: Warum ich das im Einzelnen so gemacht habe, ist schwer zu sagen. Ich habe schon als Kind immer Karl May illustriert. Bei den frühen Plakaten habe ich meistens gezeichnet.
Hochhäusler: „Sturm über Asien“ ist ein Paradebeispiel für ein fernwirksames Plakat. Wurde das plakatiert und im Stadtraum gesehen?
Hillmann: Ja, es wurde plakatiert, auch in Berlin. Da hatte Kirchner eine Zeit lang zwei Kinos: die „Lupe“. Aber diese Filme waren nie so enorm erfolgreich – wer will schon einen Film von so hoher Qualität sehen, wie die von Kurosawa, Buñuel oder Richardson und so weiter. Die kamen mit den Besucherzahlen von eingängigeren Filmen nicht mit.
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PANZERKREUZER POTEMKIN
(Regie: Sergej Eisenstein, UdSSR 1925)
Plakat: Hans Hillmann 1967
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Hochhäusler: Das ist einer ihrer Plakat-Klassiker – wovon diverse Hommagen anderer Grafiker zeugen. Es ist verblüffend, wie man ein Plakat so einfach machen kann.
Hillmann: Ja, „einfach“ ist ein Wort, für das ich sehr dankbar bin. Oben das weiße Querformat, auf dem die Rohre stehen, unten die Typographie, die als Block das Bildformat wiederholt. Ich habe auch da wieder mehrere Möglichkeiten ausprobiert … Ich komme übrigens nicht von der Schrift oder Typographie her, wie das bei Grafikern oft so ist, sondern ich komme vom Bild. Die Schrift war immer etwas, was unbedingt abgestimmt werden musste auf das Bild.
Hochhäusler: Filmplakate heute sind in aller Regel angefüllt mit Credits, Logos, Webseiten usw. Ihre Plakate dagegen sagen: „Das ist der Film.“ Sehr selbstbewusst. Was mir auch gefällt sind die kurzen Beschreibungen. Bei „Judex“ heißt es: „Geheimnisvolle Vorgänge aus der Zeit, als gestern noch morgen war.“ Bei „Die Sieben Samurai“ steht ganz knapp: „Ein prächtiges Abenteuer“.
Hillmann: Die Texte kamen von Werner Schwier, meistens, nachdem der Entwurf schon fertig war. Eine andere Besonderheit dieser Plakate war, dass in jedem Fall der Name des Regisseurs das Wichtigste war. Der Regisseur wurde jedenfalls immer als Erster aufgeführt, noch vor den Schauspielern. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Glauber Rocha steht sogar vor dem Titel.
Hochhäusler: Zwischen 1953 und 1974 haben Sie knapp 130 Plakate gestaltet. Haben Sie alle Filme der Neuen Filmkunst gemacht?
Hillmann: Nein, nicht alle. Ich durfte auch Aufträge weitergeben und habe das auch getan, zum Beispiel an Jan Lenica, einen bekannten Animationsfilmer. Er lebte damals in Paris und hatte bereits in Polen einige Plakate für interessante Filme entworfen, die die Neue Filmkunst herausbringen wollte. Da habe ich Kirchner darauf aufmerksam gemacht und er hat mit ihm Kontakt aufgenommen. Lenica hat dann auf seinem Original die deutsche Schrift untergebracht. Dabei habe ich festgestellt, dass er eine Gewohnheit hatte, die es bei uns schon nicht mehr gab: Er trug die Schrift in einer fetten Antiqua mit dem Pinsel auf. Hier bei uns wiederum sind die meisten Schriften gesetzt, nur bei den ganz frühen ist die Schrift geschnitten oder mit der Hand eingearbeitet worden. Lenica war der eine Kontakt, der andere war Wolfgang Schmidt, der mit mir studiert hatte und aus Skandinavien zurückkam. Er hat auch eine ganze Reihe Plakate übernommen, vor allem für Atlas Film. Bei Kirchner hat er aber auch einiges gemacht, wie auch Isolde Baumgart.
Hochhäusler: Kam es vor, dass Sie einen Film gesehen haben und keinen Zugang finden konnten? Hatten Sie freie Wahl, für welche Filme Sie Plakate machten?
Hillmann: Ja, das hatte ich. Aber es gab eigentlich immer eine Einigung, wenn sich zum Beispiel jemand besonders für einen Film interessierte. Aber sie wurden im Prinzip mir angeboten.
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RASHOMON
(Regie: Akira Kurosawa, Japan 1950)
Plakat: Hans Hillmann 1959
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Hillmann: In dem Film gibt es vier Beteiligte, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe das Plakat deshalb in vier Streifen geteilt, aber nur eine Figuration gemacht, die so ein bisschen durcheinander geht.
Hochhäusler: Der Film dreht sich darum, wie verschieden man ein Ereignis erleben, verstehen und erzählen kann.
Hillmann: Ja, das wollte ich ausdrücken. Ich habe damals gehofft, dass es jemand versteht, aber ich weiß es bis heute nicht. Für die Leute, die den Film gesehen haben, wird es sinnvoll sein.
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CRIME ET CHÂTIMENT
(Regie: Pierre Chenal, Frankreich 1935)
Plakat: Hans Hillmann 1962
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Hillmann: Bei „Crime et Châtiment“ habe ich noch in Erinnerung, wie ich diese Postkarte gemalt habe. Da hatte ich die Vorstellung, dass ich die Schrift über das Gesicht setze. Ich habe so etwas gedacht wie: Es ist ihm ins Gesicht geschrieben, das Verbrechen.
Hochhäusler: Ist die Vorlage dieses Plakates die Postkarte oder wurde das dann noch größer ausgeführt?
Hillmann: Das wollte ich noch zu den Postkartenentwürfen hinzufügen. Nachdem die Entwürfe besprochen waren, habe ich sie mit dem Projektor an eine Wand projiziert und in der gewünschten Größe nachgezeichnet. In diesem Fall war es ein Siebdruck, deshalb musste es nicht im Originalformat DIN A1 sein. Dabei bin ich übrigens darauf gekommen, dass Dinge verloren gehen, wenn ich sie ganz penibel, naturalistisch glattrandig zeichne. Ich habe deshalb immer versucht, etwas von der Grobheit zu behalten, die die kleine Skizze hatte. Bei „Crime et Châtiment“ sieht man es am Haar und am Hut stärker
bei anderen Plakaten, weil es in einem kleineren Format ausgeführt wurde.
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DIE EINSAMKEIT DES LANGSTRECKENLÄUFERS
(Regie: Tony Richardson, England 1962)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann: Bei „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“ sagten Kirchner und Schwier: „Pass auf, dass das nicht aussieht wie ein Sportplakat.“ Man kann sich vorstellen, dass unser Filmkunstpublikum an Sportfilmen nicht interessiert war. Daran hatte ich schon gedacht und habe diesen signalroten Fuß des Sportlers ins Gesicht des Schuldirektors gemalt. Dann habe ich das Bild noch um neunzig Grad gedreht, denn es war ursprünglich im Querformat und sah dadurch harmloser aus. Jetzt kommt der Fuß aber von oben und wirkt viel aggressiver.
Hochhäusler: Auch hier entstand der Entwurf zuerst in Postkartengröße und wurde dann größer ausgeführt?
Hillmann: Ja.
Hochhäusler: Im Grunde hat die Postkarte auf dem Schreibtisch ja Plakatgröße. Also die Distanz zur Litfasssäule im Straßenverkehr entspricht ungefähr dieser Größe.
Hillmann: Das ist ein Hilfsmittel, weil ich dazu neige, viel zu ausführlich zu werden – schon, wenn ich auf einem DIN A4 Blatt zeichne. Deshalb bleibe ich so klein wie möglich, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es dann grosszügiger wird. Das Lustige war einmal, dass ich so eine Postkarte verschickt habe, sie war nicht präzise, in keiner Hinsicht. Der Titel war erkennbar, aber das meiste war ziemlich geschmiert. Und unten wo die Schauspieler standen, habe ich nur ein paar Buchstaben hingemacht. Da wollte ich mal sehen, ob sich der Schwier die Entwürfe genau anschaut. Ich wusste, dass er eine Abneigung gegen das Frankfurterische hatte und habe unten dann irgendwo hingeschrieben: „Ei, Werna“. Und natürlich hat er das gelesen und es hat ihm auch Spaß gemacht.
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PICKPOCKET
(Regie: Robert Bresson, Frankreich 1959)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann: Das ist eines meiner ersten Fotoplakate. Als ich an die Hochschule in Kassel berufen wurde, habe ich als erstes Fotogeräte angeschafft. Wir waren damals sehr schlecht ausgestattet, aber zu dieser Zeit habe ich angefangen, mit Fotos zu arbeiten.
Hochhäusler: Ist das auch eines der Bilder, die Sie im Kinosaal geknipst haben?
Hillmann: Nein. Das ist ein Foto, das ich gemacht habe. Ich mit meinem Mantel. Die Hand greift von innen nach außen. Also der Pickpocket selbst wendet sich zuletzt an die Öffentlichkeit mit seinem Tun.
Bei den frühen Plakaten habe ich in Sachen Fotografie so kleine „Entdeckungen“ gemacht, die meine späteren Arbeiten sehr geprägt haben. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal ein hart abgezogenes Foto sah, das fast nur noch aus schwarz und weiß bestand. Das ist heute eine Selbstverständlichkeit, aber damals war es selten und hat mich in seiner Nähe zur Pinsel-Zeichnung sehr angesprochen. Viele meiner Plakate und Illustrationen spielen mit den Mitteln fotografischer Abstraktion. Damals wurde das zum Teil kritisch gesehen, diese Vermischung. Man hat natürlich unter Leuten, die Filmplakate machten, diskutiert, wie man sie machen muss. Ich habe mir immer gesagt: mach alles Mögliche – und habe es mir auch deshalb zum Arbeitsprinzip gemacht, immer mehrere Ideen gleichzeitig zu entwickeln, so dass
man sich selbst Konkurrenz machen kann. Sonst passiert es, dass man sich hineinsieht in eine Idee oder eine bestimmte Technik, die man mag und erst später merkt, dass sie gar nicht so gut war.
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DAS IRRLICHT
(Regie: Louis Malle, Frankreich 1963)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann: Dem Plakat lag eine ziemlich einfache Idee zu Grunde. Der Mann im Film bringt sich um und es sollte ein Bild von Vergänglichkeit entstehen. Da lag es ziemlich nahe, das Portrait zu nehmen und Laub darauf zu streuen.
Hochhäusler: Sie haben ja auch zu jedem Film Programmhefte gemacht, die im Kino käuflich zu erwerben waren, so wie heute in der Oper oder im Theater. Auf denen wurde das Motiv des Plakates jeweils variiert. Das interessante an so einer grafischen Erzählung ist ja auch, dass sich das gefundene Motiv oder die Metapher nicht in einem Moment erschöpft. Hier im Programmheft von „Das Irrlicht“ zum Beispiel ist das Motiv nicht identisch mit dem Plakatmotiv. Das Laub ist anders. Und im Weiteren finden auch noch andere Ideenskizzen Verwendung; etwa die Uhr, die schmilzt. Und dazu gibt es Filmbilder und Texte.
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Programmheft DAS IRRLICHT
Hans Hillmann 1966
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Publikum: Es gab ja von Walter Kirchner eine Art Corporate Identity, so würde man heute sagen. Auch die Kinos waren gestaltet. Es war schon von Außen zu sehen, dass das besondere Kinos waren. Und es gab das Logo mit der Filmrolle, die zum Auge wird, auch als Trailer vor jedem Film. Ging die gesamte Gestaltung auch auf Sie zurück?
Hillmann: Diese Filmrolle stammt von einem ganz frühen Plakat von mir, das ich als Student gemacht habe für einen französischen Film mit dem Titel „La vie commence demain“ – Das Leben beginnt morgen (Nicole Védrès, 1949). Erst Jahre später ist man auf die Idee gekommen, daraus ein Logo zu machen für die Neue Filmkunst. Ich habe aber auf jeden Fall an der Gestaltung mitgewirkt. Ich wurde ja vorhin gefragt, ob die Plakate viel im Stadtraum zu sehen waren. Wegen der immer wieder miesen Situation der Neuen Filmkunst konnte nicht so viel plakatiert werden. Aber mindestens in den Kinos sollten die Plakate präsent sein.
Hochhäusler: So kam ich überhaupt in Berührung mit Ihrer Arbeit. Ich kannte ihre Plakate aus den Münchner Kinos „Theatiner“ und „Lupe 2“. Schade war nur, dass da hauptsächlich für Filme geworben wurde, die man gar nicht mehr sehen konnte. Eigentlich traurig, dass Filme heute sofort wieder verschwinden und die Plakate nicht mehr Gedächtnis spielen.
Hillmann: Die Foyergestaltung ist ja auch immer ein Problem in den Kinos, sie ist oft sehr hilflos. Wir haben uns über die Plakate geeinigt, die wir für die Raumgestaltung gut fanden und natürlich auch vor den Kinos plakatiert.
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ANTONIO DAS MORTES
(Regie: Glauber Rocha, Brasilien 1968)
Plakat: Hans Hillmann 1970
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Hans Hillmann: Das war das einzige Mal, dass ich eine Serie von drei Plakaten machen sollte. Da habe ich eine Methode benutzt, die damals beim Animationsfilm verwendet wurde. Ich habe in einem kleinen Format diese gelbe Gesichtsform und den Umriss des Gesichts / das Grau auf eine Folie gezeichnet. Dann konnte ich die Farbfotos aus dem Film darunter herum schieben, so dass in ganz kurzer Zeit enorm viele Varianten zustande kamen. Und davon habe ich drei ausgewählt.
Hochhäusler: Das faszinierende an diesem Plakat ist, dass es unglaublich wirksam ist, obwohl man es nicht unbedingt versteht.
Hillmann: Ja, das sieht verwirrend aus, weil er tot im Gras liegt, und dann sind da auch noch Blumen. Das ist die eine Tatsache, aus dem das Plakat besteht. Die zweite Ebene ist die gelbe und graue Fläche und die Schrift. An der Fotografie ist nichts montiert. Das sieht man natürlich nur, wenn man es weiß.
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LIEBELEI
(Regie: Max Ophüls, Deutschland 1932)
Plakat: Hans Hillmann 1967
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Hillmann: Das ist nicht aus einer Serie im strengen Sinne, bei „Liebelei“ handelt es sich auch eher noch um ein Muster, aber bei den Plakaten aus dieser Zeit habe ich mich mehr und mehr für das Prinzip des Rasters interessiert. Bei „Liebelei“ ging es einerseits ums Militärische, andererseits auch um ganz private Wünsche und Vorstellungen. Deshalb habe ich diese Formen gewählt, die so explosiv wirken …
Hochhäusler: … ein bisschen wie Blumen, die die Form auflösen. Die Liebe gefährdet die soldatische Ordnung.
Hillmann: Genau. Und bei „Der Pakt mit dem Teufel“ aus dieser Zeit brennt dann eben das Raster, nicht der Kopf. Es sind die Punkte, die „brennen“. Dieses Spiel mit dem Raster war etwas, was mir Anfang der 60er sehr gefallen hat.
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DAS VERBRECHERISCHE LEBEN DES ARCHIBALDO DE LA CRUZ
(Regie: Luis Buñuel, Mexiko 1955)
Plakat: Hans Hillmann 1961
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Hans Hillmann: Man kann sich ja vorstellen, wie das entstanden ist. Mit meiner Hand habe ich durchs Papier gefasst, die Kamera aufgestellt auf einem Stativ und habe das dann fotografiert. Der Mord, der auf dem Papier geschieht.
Hochhäusler: Für mich eines der genialsten Plakate überhaupt. Es geht um einen Mann, der sich für böse hält oder glaubt, dass er auf die Welt eine fatale Wirkung hat. Er verwechselt eigentlich Ursache und Wirkung.
Hillmann: Der Originaltitel im Spanischen lautet ja auch: „Der Versuch eines Verbrechens“.
Hochhäusler: Zu diesem Motiv gibt es eine ganze Reihe von Variationen im Beiheft.
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Programmheft DAS VERBRECHERISCHE LEBEN …
Hans Hillmann 1961
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Hillmann: An sich war es selten, dass wir Zeichnungen in die Hefte aufgenommen haben, weil es von Filmkritikern heftig angegriffen wurde. Wir haben das auch bis zu einem gewissen Grad eingesehen, aber in diesem Fall konnte ich nicht widerstehen.
Hochhäusler: Als ich Sie in Ihrem Atelier besucht habe, haben Sie mir die Fächer gezeigt, in denen sich allerlei kleinformatige Skizzen befinden, die thematisch organisiert sind. Man muss sich vorstellen, dass dieser Prozess des Zeichnens etwas ist, das permanent vor sich geht. Es gibt ja auch ein Buch von Ihnen, das dieses Nebenbei der Ideen zum Thema macht: „Ich habe mir in der Besprechung davon ein Bild gemacht“ heißt es. Dieser Titel ist Programm; das Zeichnen ist eine Art ständige Konkretisierung.
Hillmann: Das waren Konferenzzeichnungen, die ich der Hochschule gezeichnet habe. Es gibt so etwas wie geteilte Aufmerksamkeit. Man kann gerade genug hören, um mitzukriegen, was einen überhaupt interessiert und was das wichtigste ist, aber man kann immer noch dabei zeichnen. Nur wenn es um ein Thema ging, bei dem man sich melden musste, dann habe ich mir Notizen zwischen die Zeichnungen geschrieben. In dem Buch sieht man auch, wie sie völlig unvermittelt zwischen den Zeichnungen stehen. So konnte ich das Gespräch dann wieder aufgreifen und mich zu Wort melden. Anschließend habe ich dann wieder weitergezeichnet. Aus einigen dieser Ideenskizzen sind dann später Plakate entstanden.
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BELLE DE JOUR
(Regie: Luis Buñuel, Frankreich 1966)
Plakat: Hans Hillmann 1974
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Hillmann: Wenn man drei nebeneinander hängt, dann ergibt das lauter Gesichter und geht immer weiter.
Hochhäusler: Die zwei Leben einer Frau und das eine Auge. Einfacher kann man es nicht erzählen und gleichzeitig hat es eben diesen Witz. Buñuel scheint Ihnen besonders nahe zu sein. Es gibt bei Ihren Buñuelplakaten immer diese unglaublichen Kombinationen.
Publikum: Haben die Regisseure eigentlich auf ihre Plakate reagiert?
Hillmann: Ja. Edgar Reitz hat mich angesprochen und ich habe dann das Plakat für einen seiner Filme gemacht, „Cardillac“. Alain Resnais hat auch eines haben wollen. Für ihn habe ich „Muriel“ gemacht.
Hochhäusler: Auch Godard muss ein Fan gewesen sein. In dem Film „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“ kommen mehrere ihrer Plakate vor, unter anderem „Das verbrecherische Leben …“ und „Muriel“.
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DER PROZESS
(Regie: Orson Welles,
Deutschland / Frankreich / Italien 1962)
Plakat: Hans Hillmann 1966
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Hillmann: Der Entwurf ist sehr schnell gegangen. Ich habe über Bürokratie nachgedacht. Was für Objekte gibt es da? Unter anderem die Schublade. Dann habe ich ein Foto von einer Schublade gemacht, zerschnitten und sozusagen falsch wieder zusammengesetzt. So war der Entstehungsprozess.
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EINE FRAU IST EINE FRAU
(Regie: Jean-Luc Godard, 1960)
Plakat: Hans Hillmann 1970
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Hillmann: Hier ist es wieder so, dass das Bild den Titel fortsetzt. Wenn Sie diese schräge Form, die sich da windet in der Mitte, wegnehmen, dann ist es eine rechteckige plastische Form, die durch Dreiecke abgeschnitten ist. Aber auch diese Form ist unmöglich, analog zur Schublade.
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DIE FRÖHLICHE WISSENSCHAFT
(Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1968)
Plakat: Hans Hillmann 1969
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Hillmann: Ich habe das immer ein vorgefertigtes Plakat genannt, weil es aus verschiedenen Elementen besteht. Einmal das Prinzip der DIN-Formate, die man ineinander setzen kann und bei denen immer zwei das nächst größere ergeben. Hier hat sich auch die Möglichkeit angeboten, Stills zu verwenden und diese entsprechend zu verkleinern oder zu vergrößern, so dass sie in das System reinpassten. Und die sind deshalb wichtig, weil Godard sie so bemalt hat mit Freud und Marx. Das ist der zweite Teil. Und der Dritte Teil kommt von einem anderen Film von Jean-Luc Godard, bei dem man einen riesigen Schriftzug auf der Leinwand sieht und das Wort „Ange“ liest. Dann aber fährt die Kamera zurück und man sieht, dass es sich um ein Verkehrsschild handelt: „Danger“. Also zusammen gesehen: Der Engel in Gefahr. Diese
Idee von Godard habe ich mir erlaubt für einen seiner Filme zu verwenden, indem ich die Übersetzung der Fröhlichkeit, also „Le Gai Savoir“ so geteilt habe, wie man es heute nach der Rechtschreibreform ohne weiteres machen kann. Ich habe vor kurzem beim Fahren mit dem Bus das Wort „Restaurant“ gesehen. Da stecken vier andere deutsche Worte drin. Es ist ein Spiel, wie viele Worte in einem anderen Wort drinstehen.
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WEEKEND
(Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1967)
Plakat: Hans Hillmann 1969
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Hillmann: Das ist das letzte Plakat, das ich zeigen wollte. Hier ist die Entstehungsgeschichte leicht zu beschreiben. Ich konnte kein typisches Foto finden, das für den Film hätte stehen können. Das war unmöglich. Irgendwann habe ich den Einfall gehabt: Wenn du diesen Titel so spannst, dass er zerreißt wie ein Band, wenn man das Wort also wie einen Gegenstand behandelt, dann könnte das ein Filmplakat ergeben. Ich habe das jetzt ans Ende gestellt, weil es noch einmal das anführt, was unter Grafikern diskutiert wird. Also, ob man ein Filmplakat mit Fotografien machen muss. Ich habe immer gesagt: Man muss es nicht. Beim Zeichnen gibt es ja den Begriff des Weglassens. Hier habe ich mich gefragt, was kann man beim Filmplakat weglassen? Und ich habe festgestellt: Man kann sogar das Bild weglassen in diesem Fall.
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