hans hillmann haltmale
helmut schmidt rhen am 17. 4.'05 zur eröffnung der ausstellung »hans hillmann · haltmale · vom plakat zum bildroman« im klingspormuseum, offenbach
warum ich hier spreche
in den späten 50er jahren studierte ich in kassel grafik und malerei. denn die dortige kunsthochschule hiess programmatisch »Werkakademie« und hatte bauhauswurzeln: ihr grafikprofessor hans leistikow z.b. war 1930 im team des städteplaners ernst may, den mart stam, hannes meyer u.a. begleiteten, in die sowjetunion gegangen um dort auch mit el lissitzky, dem meyerhold theater etc. auf einige jahre zusammen zu arbeiten.
doch jetzt war leistikow krank und kaum anwesend. ich hatte wenig gelegenheit, ihn kennenzulernen und von ihm zu lernen. doch ich lernte von älteren studenten und in den technischen werkstätten – ein selbstorganisiertes studium. etwa ’58/59 kam der junge hans hillmann aus frankfurt als lehrbeauftragter zu uns an die grafikklasse. ein ehemaliger, also »richtiger« leistikowschüler der ersten nachkriegsgeneration. sein druckfrisches plakat »abend der gaukler« (1958) hing bestaunt im flur; später, schon uneingeschränkt bewundert, das »rashomon« plakat.
er selbst trat damals, vor seiner späteren berufung zum professor, noch zurückhaltender auf, als man ihn ohnehin kennt, griff wenig in unsere selbstgewählten aufgabenstellungen oder ergebnisse ein, sondern liess einem jede vertretbare freiheit. ich zeigte ihm gern meine freien arbeiten. und typografischen experimente, die er wie ein älterer, erfahrener kollege wohlwollend kommentierte – auch schon mal, wenn es zu quadratisch wurde, mit dem entwaffnenden hinweis, er könne dazu nichts sagen, aber in ulm, da gäbe es eine schule, die in dieser richtung arbeite!
meine konstruktiven und seriellen interessen konnte ich in kassel besser mit einem anderen ehemaligen leistikow-schüler teilen – mit wolfgang schmidt (der leider nicht mehr unter uns ist) und mir neben karl gerstner ein anregendes vorbild war. dass hillmann, der fantast;ische gegenständliche zeichner und illustrator, auch in konzept ioneller und reduktiver gestaltung einiges zu bieten hatte, fand ich erst später heraus.
zunächst aber aktivierte er 1960 für mich über hans leistikow die alte verbindung zu ernst may, der mir als beauftragter der stadt mainz meinen ersten grossen auftrag erteilte: eine publikation über seine dortige stadtplanung zu entwerfen und zu produzieren. sie galt an der hochschule als meine abschluss-arbeit.
ich ging danach zu gerstner+kutter nach basel, und blieb mit hans hillmann über die jahre im losen freundschaftlichen. gelegentlich auch kollegialen kontakt.
film im plakat
in seinem aufsatz »zur gestaltung von filmplakaten« reflektiert hillmann 1965 seine arbeit am filmplakat – die schon in den frühen 50er jahren begann. er berichtet, dass u.a. die filme eisensteins und dessen theoretische aufsätze über montage sich auf seine grafische arbeit auswirkten, und er definiert klar die besondere aufgabenste1lung: »in zwei dimensionen eine bild- und schrift-sprache zu erfinden als zeichen für eine bildund tonsprache, die sich in der dimension der zeit erstreckt.«
die plakate »rashomon« (1959) und »amore« (1962) führen spezifisch filmische gestaltungsprinzipien – schnitt , montage, sequenz – im plakat ein und vor. »sturm über asien« (1961) macht durch seine monumentale und zugleich dynamische bildwirkung unendliche steppenweite anschaulich; die wirkung ist z.z. anhand der sondermarke »german poster art« zu überprüfen, die neben drei anderen hillmanns plakat in knapp 2 cm gesamthöhe abbildet! »panzerkreuzer potemkin« wiederum spielt souverän die dialektik von figur und grund, von statik und dynamik aus. die vier inzwischen klassischen beispielplakate sind wohlgemerkt sparsam in schwarz/weiss gedruckt in dem durchaus bescheidenen format din a 1.
konstruktiver minimalismus
a la hillmann: man teile einen hochformatigen, hellblauen din a 1 bogen horizontal. sodann teile man-die obere hälfte wiederum vertikal. das rechte blaue viertel verdrehe man auf weissem grund um etwa 10° nach links. man erkennt die schlanke silhouette einer segelyacht mit wimpel auf weiter see unter blauem himmel. links darunter plaziere man in gewöhnlicher groteskschrift die warte »kieler woche«, rechts das veranstaltungsdatum von … bis, und man erhält das berühmte plakat der »kieler woche« von 1964.
eine ähnliche elementare flächenteilung, nämlich stetige halbierung des formats bis ins infinitesimale, liegt dem filmplakat für godards »le gai savoir« von 1970 zugrunde. in den kontrastfarben gelb und magenta, die im übereinanderdruck zusätzlich hochrot ergeben, werden text und bild vorgetragen. durch »brutalstmögliche« silbentrennungen des deutschen textes »fröhliche wissenschaft« im rigiden teilungsraster entstehen zusätzliche subworte wie »ehe«, »sens« oder »haft«, die im verein mit den politkarnevalistischen amateurfotos den 68er zeitgeist widerspiegeln.
metamorphosen, transformationen & analogien gern lüftet hillmann für uns den schleier der maja in seinen »abc-geschichten« (1975) und zeigt in gezeichneten bildsequenzen, wie beispielsweise nicht das wort auf den hund kommt, sondern umgekehrt: der allerliebst gezeichnete hund sich sukzessive in sein eigenes wort verwandelt. die geraden vorderpfoten deuten schon die vertikalen des grossen »H« an, der aufgerichtete schwanz wird zur oberlänge des kleinen·»d«, und das häufchen, das das gezeichnete hündchen gerade noch gemacht hatte, dient jetzt dem wort »Hund.« als abschliessender punkt.
surrealistische verwandlungen und gestalt_analogien auch im filmplakat: der kopf des »malteserfalken« (1972) mutiert zum frontal auf uns gerichteten revolverlauf; aus schlangenleibern formt sich das dämonische antlitz des dschungels – für bunuels der »tod in diesem garten« (1974); und bunuels »weg, der zum himmel führt« (1972) endet in perspektivischer verkürzung als palmenwipfel wie es der titel verspricht – im himmel. das auge im plakatfüllenden profil der chinesischen lady in »abrechnung in shanghai« (1973) entpuppt sich bei näherem hinsehen als furchteinflössender drachenkopf.
»…auf diesem sofa kann die tante nur ermordet werden. …
… die seelenlose Üppigkeit des mobiliars wird wahrhafter komfort erst vor dem leichnam. viel interessanter als der landschaftliche orient in den kriminalromanen ist jener üppige orient in ihren interieurs: der perserteppich und die ottomane, die ampel und der edle kaukasische dolch. hinter den schweren gerafften kelims feiert der hausherr seine orgien mit den wertpapieren … «
was walter benjamin 1928 in seiner »einbahnstrasse« skizziert, könnte die exakte beschreibung der ersten ganzseitigen und detailreichen illustration in hans hillmanns »fliegenpapier« sein. einer kriminalgeschichte von dashiell hammett, die hillmann in 240 ganzseitigen s/w illustrationen als bildroman umgesetzt hat. statt der seitenfüllenden sepiafarbenen aquarelle möchte man von einstellungen, fahrten, schnitten und close ups sprechen – so filmisch sind die bildfolgen inszeniert. dabei steht jedes bild auf jeder seite im eigenen satzspiegel hochformatig zunächst für sich – das entspricht dem medium buch – oft jedoch zeigen bei genauerem hinsehen die linke und die rechte seite gemeinsam ein querformatiges motiv – wie auf einer (geteilten) kinoleinwand.
dieses unglaubliche werk ist im sinne des theoretikers mc luhan ein »medienhybride« von grosser vitalität und dynamik. eine geschichte, wie sie franz kafka beschwor: »ist es so schwer und kann es ein aussenstehender begreifen, dass man eine geschichte von ih rem anfang in sich erlebt vom fernen punkt bis zu der heranfahrenden lokomotive aus stahl, kohle und dampf, sie aber auch jetzt noch nicht verlässt, sondern von ihr gejagt sein will und zeit dazu hat, also von ihr gejagt wird und aus eigenem schwung vor ihr läuft wohin sie nur stösst und wohin man sie lockt.«
1982 bei zweitausendeins erschienen und seit jahren vergriffen, wird eine neuausgabe der arsenhaltigen gangsterstory von hans magnus enzensberger vorbereitet.
apropos »mord & totsch lag«: der grafiker, der künstler, der lehrer hillmann – keiner fliege kann er etwas zuleide tun, nicht mal wütend kann ich ihn mir vorstellen. doch in seinen zeichnungen, plakaten und bildgeschichten kennt er keine berührungsängste, wenn es um katastrophen, keilereien oder waffen aller art geht. verwunderlich …
… biografisch jedoch, als bewältigung eines grossen schreckens, durchaus plausibel. wenn man bedenkt, dass der mit dem not-abitur versehene jugendliche soldat hillmann die letzten kriegsjahre 1943 – 45 als mg-schütze an zwei fronten lebend (wenn auch nicht unverletzt) überstand. als kriegsgefangener und dolmetscher bei den engländern hatte er anschliessend gelegenheit, deren kohlrabenschwarzen, eben britischen humor kennen und schätzen zu lernen.
erfindung der farbe
hans hillmann hatte bereits einige seiner besten plakate geschaffen und war ende dreissig, bevor er die farbe entdeckte – oder sie ihn. darin ist er paul klee vergleichbar, der auch als zeichner und grafiker begonnen hatte und erst auf einer tunisreise mit 35 jahren die farbe schicksalhaft entdeckte. bei hillmann kann man die entdeckung und persönliche indienstnahme der farbe mitte der 60er jahre feststellen. es beginnt mit einem malerischen paukenschlag: din a 1 plakat und 16/1 grossflächenplakat zum film »die sieben samurai« 1962. zwar verwendet er ausschliesslich primärfarben – jedoch ein hillmann-rot, ein hillmann-blau, hillmann-grün und vor allem (wenig!) hillmann-schwarz. auch plakate wie »der mann im weissen anzug« (1965) oder »liebelei« (1967) erstrahlen jetzt in leichter und heiterer farbigkeit.
vermutlich haben auch verbesserte reproduktions- und drucktechniken die farbe allgemein verfügbarer gemacht – hillmann weiss sie sensibel und geistvoll zu nutzen. noch im bestreben, litho- und druckkosten eines filmplakats zu minimieren, erfand er um 1970 ein eigenes coloristisches verfahren: erliess eine schwarz/weisse fotomontage als halbtonaufnahme sowohl positiv wie negativ lithografieren und in komplementären farben ineinanderdrucken. das ergebnis war eine unerwartet surreale farbigkeit, als zweifarbiger offsetdruck hier zu besichtigen am filmplakat »cardillac«. den gleichen effekt setzte er in wechselnder farbigkeit noch öfter ein, so auch im godard-plakat »le gai savoir«. das diametrale operieren im farbkreis, also komplementäre farbharmonien, sind auch in seinen späte ren farbigen illustrationen häufig zu finden. menschen- und tierversuche …
… mittels zeichenstift in hellwacher konferenztrance: was geben die klassischen darstellungsrepertoires her in weichen und harten linien, in punkten, flecken, rastern, schraffuren. immer wieder mann, frau und tier – konturiert, verschlungen, durchdrungen, verschattet, aus der frosch oder der vogelperspektive gesehen, fragmentiert, kloniert, zittrig, hündisch, wolkig, unscharf, gemustert oder getarnt – als blumenstrauss oder landschaft – gefaltet, anamorphotisch projiziert und zur kenntlichkeit verzerrt.
nach fast 30 jahren lehrtätigkeit und damit verbundenen ausschußsitzungen, liegen in den bänden »ich habe mir in der besprechung ein bild gemacht« (1976) und »ein jogger träumt von der heiligen monika« (1989) hillmanns gesammelte »konferenzzeichnungen« vor. winfred kaminski haben sie an die »intellektuellen vexierbilder und ungewohnten perspektiven« in lichtenbergs »sudelbüchern« erinnert. genau. man darf sich durch hans hillmanns darstellerische routine nicht vom intellektuellen witz und der morphologischen systematik seiner zeichnerischen erfindungen ablenken lassen! zeichnen heisst für ihn immer erfinden. und, wie saul steinberg befand: »zeichnen ist eine form des nachdenkens auf dem papier.«
abschliessend ist zu sagen, dass die zeichnerischen menschen- und tierversuche ziemlich ungebremst und von der öffentlichkeit nicht ganz unbemerkt in den letzten ja hren fortgeführt wurden. eine weitere ausstellung des aktuellen zeichnerischen spätwerks ist im oktober zu hans hillmanns 8ostem geburtstag in der galerie streitenfeld in oberursel zu erwarten.
* literatur [in zitierter reihenfolge): ► »filmplakate« ausstellungskatalog die neue sammlung, münchen 1965 ► »ein plakat ist eine fläche, die ins auge springt« plakate der kasseler schule, hg. hans hillmann und gunter rambow, frankfurt/m 1979 ► h. hillmann »abc-geschichten von adam bis zufall« frankfurt/m 1975 ► walter benjamin »einbahnstrasse« berlin 1928 ► h. hillmann »fliegenpapier« nach dashiell hammett’s kriminalgeschichte flypaper, frankfurt/m 1982 ► franz kafka »tagebücher« frankfurt/m 1990 ► h. hillmann »ich habe mir in der besprechung ein bild gemacht« obertshausen 1976 ► h. hillmann »ein jogger träumt von der heiligen monika« konferenzzeichnungen, kassel 1989
[brückenvorlesung nabokovs, ca 1950, zwischen kafkas »die verwandlung« und stevensons »dr. jekyll und mr. hyde«, gehalten. aus: vladimir nabokov »eigensinnige ansichten« hamburg 2004 . hier : zugabe, wegen überlänge gestrichen, zu hh’s ausstellungs_eröffnung 17.4.05)
nabokovs metamorphosen
» … verwandlung ist etwas wunderbares. ich denke da besonders an die metamorphose der schmetterlinge. obwohl wunderbar anzusehen, ist die verwandlung der larve in eine puppe oder der puppe in einen schmetterling für das betreffende wesen kein sonderlich angenehmer vorgang. für jede raupe kommt der schwierige moment, da ein komisches gefühl des unbehagens sie überfällt. es ist ein gefühl der enge – hier, am hals, und anderswo – und dann ein unerträglicher juckreiz. natürlich hat er sich schon mehrmals gehäutet, aber das war nichts im vergleich zu dem kribbeln und dem drang, den er jetzt verspürt. er muss diese enge trockene haut abwerfen oder sterben. wie sie schon vermutet haben werden, bildet sich unter jener haut bereits der panzer einer puppe …
nun’ja, irgendetwas muss der rauper ich gegen dieses schreckliche gefühl tun. er läuft unruhig umher, auf der suche nach einem passenden ort. er findet ihn. er kriecht eine mauer oder einen baumstamm hoch … und macht sich ein kleines seidenpolster. er heftet sich mit dem leibesende oder den hintersten beinen an dieses seidengespinst, sodass er in der haltung eines umgedrehten fragezeichens mit dem kopf nach unten hängt, und tatsächlich stellt sich eine frage – nämlich wie er seine haut loswerden soll. eine schlängelbewegung, noch eine – und ratsch, den rücken entlang platzt die haut auf, und peu ä peu befreit er sich aus ihr, wie jemand, der sich mit schultern und hüften aus der wurstpelle eines kleidungsstücks windet. dann kommt der kritischste augenblick. sie verstehen, wir hängen gerade mit dem kopf nach unten an unsern hintersten beinen, und das problem jetzt besteht darin, die gesamte haut abzustreifen, sogar die haut jener hintersten beine, an denen wir hängen – aber wie soll das gehen, ohne in die tiefe zu stürzen?
was macht es also, dieses tapfere und hartnäckige tierchen, das schon halb entkleidet ist? sehr sorgfältig beginnt es, seine hinterbeine frei zu machen, sie aus dem seidengespinst, an dem es kopfunter hängt, hervorzuziehen – und mit einem bewundernswerten dreh und ruck springt es sozusagen schliesslich aus dem seidenpolster, wirft den letzten fetzen der umkleidung ab, und noch während dieses ruck-und-drehsprungs befestigt es sich aufs neue, diesmal mittels eines hakens, der sich unter der abgestreiften haut am ende seines leibes befand. jetzt ist gottseidank die ganze haut ab, und die entblösste oberfläche, nunmehr hart und glänzend, ist die puppe, ein wickelbabyhaftes etwas, das an dem zweig hängt – eine sehr schöne chrysalide mit goldenen knötchen und gepanzerten flügelhüllen … «
soweit nabokovs anschauliche schilderung des ersten metamorphotischen schritts von der raupe zur puppe. es folgt die nicht mehr ganz so dramatische beschreibung der nochmaligen verwandlung der puppe in die endgültige gestalt eines schmetterlingsweibchens. der schmetterlingsforscher +dichter+ literaturprofessor nabokov sch liesst mit der frage: »wie fühlt sich das schlüpfen an? nun ja, zweifellos rauscht panik in den kopf, gibt es den kitzel einer atemlosen und seltsamen empfindung, doch dann sehen die augen, in einer flut von sonnenlicht sieht die falterin die welt, das grosse und schreckliche gesicht des staunenden entomologen.
jetzt wollen wir uris aber der verwandlung von jekyll in hyde zuwenden.«
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