Mein Professor – Hans Hillmann
1959, nachdem ich meine Grundlehre an der Hochschule für Bildende Künste Kassel abgeschlossen hatte, entschied ich mich, in der Klasse „Grafik“ zu studieren.
Am Ende des langen Flurs, an dessen Seiten die Türen zu den Lehr- und Arbeitsräumen der Grafik lagen, sah ich zwei Filmplakate an die Wand geheftet. Es waren „Abend der Gaukler“ und „Bellissima“. Wie vom Schlag gerührt blieb ich stehen. Die Plakate packten all meine Sinne. So etwas kraftvolles und gleichermassen berührendes hatte ich bis dahin noch nicht gesehen. Ich begriff noch nicht, dass man mit extrem reduzierten Mitteln so eine maximale Wirkung erzielen konnte. Mir war sofort bewusst, hier sehe ich meine Vorbilder, da muss und will ich lernen. Während ich so darüber nachdachte, kam Hans Hillmann aus seinem Atelier, sah mich und begrüßte mich, wir kamen ins Gespräch. Wir stellten fest, dass dieser Tag für uns beide der erste Tag in der Grafik an der Hochschule war. Hans Hillmann als neu berufener Professor, ich als Student. Hans Hillmann war der Künstler der Plakate, vor denen wir standen.
Etwa monatlich hingen an der Stirnwand des Flures zwei andere Filmplakate. Und jedesmal war der Augenblick beim Anblick der Plakate erregend, schockierend, ja häufig waren Steigerungen zu den vorausgegangenen Plakaten sichtbar. Diese Wand war meine Schule der Plakate. Schon sehr früh hatte ich Gelegenheit, selbst Plakate zu entwerfen. Viele Aufträge bekam ich auch von Hans Hillmann, um meine Arbeit zu fördern. Hans Hillmanns Lehre entwickelte sich nach und nach zur wichtigsten „Schule der Plakate“ in Deutschland. Das 1979 herausgegebene Buch „Das Plakat ist eine Fläche, die ins Auge springt – Kassel Schule der Plakate“ ist ein sorgfältiges Zeugnis seiner Lehrtätigkeit an der Universität Kassel.
Hillmanns Einfluss auf die internationale Designszene begann schon seit den frühen sechziger Jahren eine gewichtige Bedeutung einzunehmen. In zahlreichen internationalen Anthologien und Designzeitschriften waren seine Arbeiten publiziert. Man erkannte deutlich seinen Einfluss in Mitteleuropa, vor allem aber auch seinen Einfluss auf das Plakatdesign vieler Plakatkünstler der damaligen Deutschen Demokratischen Republik. Das heißt, Hillmanns „Kasseler Schule des Plakats“ hatte einen international weiten Radius erlangt. Nach meiner Meinung und der vieler meiner Kolleginnen und Kollegen gehört Hillmann zu den zehn wichtigsten Plakatkünstlern der Welt. Aber am größten war wohl sein unmittelbarer Einfluß auf seine Studenten. Aus seinem Lehrbereich gingen zahlreiche Studenten hervor, die als Professoren lehrten, und alle von ihnen wiederum Professoren ausbildeten. Man kann im übertragenen Sinne davon ausgehen, dass Hillmann unzählige Professorenkel hat.
In den siebziger Jahren begann in Deutschland ein grosses Kinosterben. Auto und Fernsehen hatten ein neues Freizeitverhalten mit sich gebracht. Der Filmverlag, für den Hans Hillmann all seine weit über hundert Plakate entwarf, musste schließen. Für die künstierische Tätigkeit von Hans Hillmann war das eine schwere Zeit – seine Domäne, das Plakat, war weggebrochen. Seit 1974 war ich mittlerweile Hillmanns Kollege an der Universität Kassel, als Professor für Visuelle Kommunikation. 1979 zeigte mir Hillmann in seinem Atelier in Frankfurt eine Mappe mit etwa zwanzig 40 x 60 cm grossen Illustrationen zu einem amerikanischen Kriminalroman von Dashiell Hammett.
Auch beim Anblick dieser völlig neuartigen Sichtweise von Illustrationen hatte ich ein ähnliches Erlebnis, wie ich es 1959 vor seinen Filmplakaten hatte. Ich beschwor Hillmann, unbedingt den Beginn seines grossen Werkes fortzusetzen und zu vollenden. 1982 erschien sein Illustrationsbuch unter dem Titel „Fliegenpapier“in dem renommierten Verlag „2001“.
Hillmann begann hiermit eine grosse Karriere als Illustrator, auch schuf er noch eine Reihe von sehr guten Plakaten, aber die Nachfrage nach seinen Illustrationen war dominierend. An der Universität Kassel widmete Hillmann seine Lehre immer mehr der Illustration. Die hier vorliegende Publikation ist für das internationale Grafik Design und seine Designschulen von großer Bedeutung. Die Designgeschichte wäre lückenhaft, würde dieses Buch fehlen. Ich möchte Prof. Lin Jiayang, Direktor des Forschungsinstituts für Kunst und Design an der Tongji-Universität Shanghai, meinen besonderen Dank für diese Initiative und seine Herausgeberschaft aussprechen.
Güstrow, 01.02.2005
Prof. Gunter Rambow
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