Über die Arbeit an meinen Filmplakaten

AutorIn
Hans Hillmann
Erscheinungsjahr
1979
Quelle
Hillmann/Rambow: »Ein Plakat ist eine Fläche die ins Auge springt - Plakate der Kasseler Schule«, Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1979

Im Folgenden werde ich versuchen, die Vorgänge bei der Entstehung zweier meiner Filmplakate zu rekonstruieren. Ich werde mich dabei auf den Teil der Arbeit beschränken, der die Suche noch Einfällen zum Ziel hat. Ein solches Vorhaben ist sicher nur partiell durchführbar, da ein beträchtlicher Teil der an dem Prozess beteiligten Vorgänge sich meiner Kontrolle — und inzwischen meiner Erinnerung — entzieht. Für den Versuch spricht, dass bei meiner Arbeitsweise viele Skizzen und Notizen entstehen, die erlauben, einen ausreichenden Teil des Weges wieder auffindbar zu machen. Die zwei „Fälle“, die ich vorstellen möchte, habe ich aufgrund dieses Kriteriums ausgesucht. Ein weiterer Grund für die Auswahl lag darin, dass in beiden Fällen die Bildideen jeweils einer umfangreichen Gruppe innerhalb meiner Arbeit angehören und somit ziemlich typisch für meine Beschäftigung mit dem Filmplakat sind.

„Subida al cielo“ – Der Weg der zum Himmel führt – ist ein Film von Luis Buñuel, in dem eine Gruppe von Menschen gezeigt wird, die mit einem Bus durch Mexiko reisen. Die meist alltäglichen Geschehnisse, die diese Fahrt unterbrechen, bilden den eigentlichen Inhalt des Films, der damit eine Beschreibung ländlichen mexikanischen Lebens wird. „Mexiko der Tropen“ schreibt Tony Richardson „ist nie zuvor so spontan und so poetisch eingefangen worden wie in diesem Film“.

Zu meinen vorbereitenden Arbeiten gehörten das Schreiben einer Inhaltsangabe nach der Vorführung des Films, Entwickeln der von der Leinwand aufgenommenen Fotos, die Suche nach Texten über den Film und über Buñuel sowie nach weiterem Material, unter anderem Bilder tropischer Vegetation, die ich im Frankfurter Palmengarten fand. Danach habe ich Listen und Skizzen angelegt von solchen Objekten, die in dem Film eine Rolle spielen: ein Junge mit einer Gitarre, die Perspektive einer Straße mit Palmen, ein Bus, ein Paar das sich umarmt, ein mexikanischer Hut und anderes. Dabei habe ich jede Art von Ordnung vermieden: ich nehme an, dass die Unmöglichkeit, das Nacheinander filmischer Erzählung ins Zweidimensionale zu übertragen, mich zu einer beliebigen Verteilung veranlaßt hat. Für mich entsteht so ein überschaubarer Fundus, der mich anregt, das Bild des Films neu zusammenzusetzen. Als nächster Schritt folgte eine Reihe von Skizzen mit Montagen solcher „Objekte“ die jeweils Überlegungen auslösten, wieweit in ihnen der Film repräsentiert werden könnte.

Der „Weg“ tritt nahezu überall auf; allerdings wollte ich nicht etwa im Bild nur wiederholen, was der Titel des Films ohnehin sagt. Die Perspektive etwa einer Straße, die bis zum Horizont, zum Himmel führt, wäre banal. Außerdem gibt es eine Erfahrung, nach der reine Landschaftsplakate auch da, wo sie nach dem Inhalt eines Films durchaus berechtigt wären, von Betrachtern häufig so aufgenommen werden, dass es hier nicht um einen Spielfilm ginge. Meine Notizen enthalten außerdem die Warnung, dem Plakat nicht irgendeine Wendung zu geben, die den Eindruck eines kirchlichen Erbauungsfilms nahelegen könnte. Die Abb. 1 und 2 zeigen eine Auswahl der Skizzen, mit denen ich das Thema Weg mit verschiedenen Figurationen, am häufigsten mit einer Palme, gleichsam abgetastet habe, bis mir dann die Möglichkeit auffiel, die Form des sich nach hinten verjüngenden Wegs gleichzeitig als Stamm der Palme zu sehen (Abb. 3-5). Das nahtlose Aufgehen des einen im anderen entschied mich und in einer darauffolgenden, längeren Arbeitsphase wurde die Form noch modifiziert und den graphischen, farbigen und typographischen Erfordernissen des Plakats angepaßt. Für das Finden dieser Plakatidee war meine Vorliebe für mehrdeutige Bilder wichtig, die ich auch bei anderen Arbeiten eingebracht habe und die Anteil hat an den in der gleichen Zeit konzipierten „Verwandlungsgeschichten“(1).

Für das Plakat Die verkaufte Braut hatte ich von der Leinwand photographiert (Abb. 6). Beim Betrachten der Abzüge entdeckte ich zwischen zwei Männern eine Form, die sehr dem Profil eines Frauenkopfes ähnelte: da war die verkaufte Braut. Ich habe, als ich das Plakat dann malte, wenig zu ändern brauchen. Das Prinzip von „Kippbildern“ ist bei Schatten gut abzulesen: die Form, die man soeben als Haar der Frau gesehen hat, „kippt“ in ihrer Bedeutung und dient dem Mann als Hinterkopf und Nacken (Abb. 7). Ein weiteres Beispiel ist Eine Frau ist eine Frau. Das gleiche Prinzip erlaubt einer Tür, gleichzeitig offen und geschlossen zu sein. Ein verwandtes Prinzip, das der „unmöglichen Objekte“, tritt in den Plakaten Der Prozess und „Fischer-Taschenbuch“ (Abb. 8) auf.

Einen zweiten „Fall“ habe ich ausgesucht, um daran eine weitergehende Arbeitsweise zu zeigen. Es ist wieder ein Plakat für einen Film von Bunuel: „La mort en ce jardin“ – Der Tod in diesem Garten. In diesem Film, der früher auch unter dem Titel „Pesthauch des Dschungels“ bei uns zu sehen war, schließt sich eine Anzahl von Menschen zusammen, um aus dem südamerikanischen Urwald zu fliehen. Nur zweien gelingt es, den Rand des Dschungels zu erreichen. „Die geographische Lage von ,La mort en ce jardin‘ wird einzig und allein definiert durch die Unmöglichkeit, in der sich der Mensch befindet, eine üppig wuchernde Natur zu beherrschen; die Natur ist nicht mehr der Platz, wo der Mensch wiederhergestellt wird, sondern die Falle, in der er sich fängt, und nur diejenigen entgehen ihr, die die Zivilisation noch nicht verformt hat.“ Dieser Satz aus einer Rezension von Frederic Grange kann gut die Annäherung an das Thema verdeutlichen, die ich gewählt hatte. Die ersten Bilder, die spontan einfielen, waren Menschen im Dschungel, das Wuchern üppiger, tropischer Vegetation und eine vage Vorstellung von Käfern, Fliegen, Schlangenmustern und Details menschlicher Körper. Eine erste übersieht enthält Vorschläge, in denen diese Themen auf verschiedene Weise graphisch oder photographisch dargestellt werden sollten. Sie entfernten sich jedoch zu wenig von Bildern, die in ähnlicher Form schon vorhanden waren, und erforderten sämtlich einen zu großen technischen Aufwand. über die Seite hatte ich nachher geschrieben „Wer malt den Dschungel“?

Ich habe anschließend das Thema noch stärker reduziert auf den Begriff „eingeschlossen sein“ und habe dazu Analogien aus anderen Bereichen gesucht — etwa nach dem Muster, das Gordon (2) beschreibt; so wurde der Mensch im Dschungel nicht nur mit ähnlichen Situation, wie der Vogel im Käfig, das Haar im Netz, und weiteren verglichen, sondern gleichgesetzt in dem Sinne, dass alle einschließenden oder eingeschlossenen Elemente austauschbar wurden.

Ich selbst empfinde solche Vorgänge als ebenso aufregend wie anstrengend. Sie sind ein Versuch, mehrere Gegenstände — und die Beziehungen zwischen ihnen — sich gleichzeitig vorzustellen oder sie wenigstens in ganz raschem Wechsel im Kopf zu projizieren. Eine der dabei entstehenden Verbindungen, die von Fleisch, das von einem Gerüst eingezwängt war, führte zur Vorstellung eines Siebs, durch dessen Öffnungen etwas quillt; das Sieb ließ mich an die Kreuzschraffuren denken, die man beim Zeichnen benutzt, um zu schattieren. Zurückprojiziert auf das Thema ergab sich ein Entwurf, den ich selbst anregend fand, obgleich er sich weit besser für ein größeres Format — etwa eine Hauswand, die man von weither sehen kann — geeignet hätte. Es sollte ein Bild werden, das in verschiedenen Abständen unterschiedliche Eindrücke vermittelt hätte: bei geringem Betrachtungsabstand Insekten, die dabei sind, durch eine Art von Fliegengaze zu kriechen, aus weiterer Entfernung ein Gesicht, in Kreuzschraffur modelliert (Abb. 9). Diese Bildvorstellung gehört zu einer Reihe von Arbeiten, die eine Art von Mehrdeutigkeit aufweisen, die sich aus dem technischen Zustandekommen von Bildern in den Medien ableiten läßt: bei zu naher Betrachtung eines Photos wird das Korn sichtbar, beim Zeitungsdruck der Raster, beim Fernsehbild die Zeile . Dieser Reihe ist gemeinsam, dass diese kleinsten Teile außerdem noch andere Rollen übernehmen können: in Flammen aufgehen, eine Menschenmenge darstellen, Fäden, Kaviar, Sterne sein etc. (Abb. 10+11).

Die für „La mort en ce jardin“ entworfene Vorstellung blieb dann Skizze, zum einen, da ich befürchtete, dass sie eklig erscheinen würde, zum anderen war auch wieder niemand da, der die Insekten malen wollte. Eine Abwandlung einer der Themenkondensate, mit denen ich arbeitete besagte, dass der Mensch, wenn ihn der Dschungel verschlingt, selbst Teil des Dschungels wird. Daraus ergaben sich einige Skizzen, in denen — etwa nach dem Muster der Arcimboldi — Köpfe aus Tieren und Pflanzen der Tropen zusammengesetzt wurden (Abb. 12+13). Eine Skizze, die auf der Formähnlichkeit einer zusammengerollten Schlange mit einem stark verschatteten, anonymen Gesicht fußte, war dann die Vorstellung, die mir thematisch stimmig erschien und mich auf das endgültige Aussehen neugierig machte, so dass die Arbeit des Machens beginnen konnte (Abb. 14). Die beschriebenen Entwurfsphasen nahmen bei den einzelnen Filmen unterschiedlich lange Zeit in Anspruch: bei einigen waren es Tage, bei anderen habe ich Wochen zugebracht, bevor etwas da war, was mich zufriedenstellte. In den ersten Jahren geschah es des öfteren, dass nach intensiver Arbeit endlich eine Spur sichtbar wurde, die sich jedoch bald – wie bei dem sprichwörtlichen in der Wüste Verirrten als die eigene herausstellte. Ich meine, dass man diese lähmende Erfahrung vermeiden kann, wenn man über mehrere und variierbare Annäherungen zu Themen bzw. Problemen verfügt. Gordon, der eine der „übertragbaren“ Entwurfsverfahren entwickelt hat, sagt von ihr, dass sie nicht dazu diene, die Arbeit leichter zu machen, sondern es ermögliche, härter an etwas zu arbeiten. Solche Verfahren kennenzulernen, war für mich wichtig, jedoch glaube ich, dass man sie als eine Art Rohentwurf für ein Werkzeug verstehen sollte, das dann auf die besonderen Bedürfnisse von Personen und Sachen zugeschnitten werden muß.

Bei der Arbeit für die „Neue Filmkunst“ war es meistens möglich, sich mit den Filmen und dem Plakatmachen länger auseinanderzusetzen, auch wurden die Termine nicht so strikt abgefordert. Darüber hinaus wäre die Entwicklung der Konzeption, die ich hier am Beispiel von zwei Plakaten versucht habe zu beschreiben, ohne die Risikobereitschaft und Großzügigkeit von Walter und Marlies Kirchner nicht zustande gekommen.

 

(1) Hans Hillmann: Ich hab geträumt ich bin ein Hund, der träumt, Kohlkunstverlag, Frankfurt 1970

(2) William J. J. Gordon: Synectics, Harper & Row, New York 1961