Zeitnahe Grafik für zeitlose Filme
Ein Beitrag zur modernen Filmkunst. Anmerkungen in eigener Sache
Es geschieht nicht gerade selten, daß ich gefragt werde: »Wieso kann sich eigentlich die Neue Filmkunst als kleine Firma den Luxus leisten, Plakate von so vorzüglicher Qualität herzustellen?« Meine Antwort lautet dann jedesmal: »Sehr einfach. Wir haben einen hervorragenden und außerordentlich talentierten Grafiker.« »Ja, aber…« »Und außerdem hat er bei seiner Arbeit freie Hand. Das ist das ganze Geheimnis.«
Beim Film ist im Allgemeinen alles ganz anders als anderswo. Wenn ein guter Sänger an eine Oper engagiert wird, verhandelt man mit ihm über die Rollen, in denen er auftreten soll. Singen lässt man ihn dann selbst, denn er ist ja auf Grund seiner Qualitäten engagiert worden. Wenn ein Filmproduzent einen guten Drehbuchautor engagiert … aber ich wollte ja von unseren Plakaten sprechen.
Als die Neue Filmkunst im Januar 1953 nach langer Vorarbeit endlich ihren ersten Film herausbrachte, taten sich zahllose Probleme vor uns auf. Walter Kirchner und ich hatten uns in schöner Unkenntnis der Schwierigkeiten nicht mehr und nicht weniger vorgenommen, als einen kommerziellen Verleih ausschließlich für anspruchsvolle und künstlerisch bedeutende Filme zu gründen. Wie schwer aber die selbst gestellte Aufgabe auch sein mochte, es stand für uns von Anfang an fest, daß wir für die Qualität unserer Ware, von der wir überzeugt waren, auf Dauer erfolgreich nur durch Qualität bewerben konnten.
So war es ein Glücksfall, daß wir schon bald nach der Gründung der Verleihfirma mit einem Künstler wie Hans Hillmann zusammentrafen. In gemeinsamer und wech-selseitiger, fruchtbarer Zusammenarbeit ist es in den letzten Jahren gelungen, für die Neue Filmkunst einen eigenen und unverkennbaren Plakat-Stil zu entwickeln. »Zeitnahe Grafik für zeitlose Filme« überschrieb eine Zeitschrift ihren Artikel über unsere Plakate, die inzwischen zu einem vielbeachteten Beitrag zur modernen Plakatkunst in Deutschland und im Ausland geworden sind.
Hans Hillmann und ich waren allerdings in den grundsätzlichen Fragen des Plakats sehr bald vollkommen einer Meinung. Ein Plakat soll zu allererst Blickfang sein. Dazu ist erforderlich, daß es klar und übersichtlich ist und nicht mit einer Fülle von Darstellungen und Texten überladen wird. Wir haben uns deshalb bei jedem Plakat durchweg auf ein oder zwei Motive beschränkt und jeden nur eben entbehrlichen Text radikal verbannt. Für ausführliche Texte ist auf anderen Werbemitteln sehr viel mehr und sehr viel besserer Platz. Der Kunde, also der umworbene Kinobesucher, soll nicht übertölpelt werden, (dann glaubt er mir beim nächsten Mal sowieso nicht wieder), sondern zunächst soll sein Interesse geweckt werden. Dann soll er durch die übrigen Werbemittel (Fotos und Aushang im Schaukasten, Programmhefte usw.) informiert und so schließlich vom Besuch des Films überzeugt werden.
Der Erfolg dieser doch sehr einfachen Methode war für uns überwältigend, obwohl wir in der Filmbranche selbst zunächst kaum Beachtung fanden. Die Plakate wurden nicht nur in der Bundesrepublik in Ausstellungen gezeigt, sondern in vielen Ländern in der ganzen Welt, in Japan, Holland, Irland, Frankreich, Israel, in der Türkei, auf der Triennale in Mailand und bei vielen anderen Anlässen. Berühmte Museen forderten Plakate für ihre Sammlungen an. Sie wurden mehrfach preisgekrönt. (Der Bund deutscher Gebrauchsgrafiker reihte allein vier von unseren Filmplakaten unter die zwanzig besten deutschen Plakate des Jahres 1957 ein.) Deutsche und ausländische Zeitschriften brachten Besprechungen, und kürzlich bewarb sich eine amerikanische Agentur bei uns, die den Verkauf (!) in Amerika übernehmen möchte. Es vergeht aber auch kaum eine Woche, in der uns nicht mehrere Besucher unserer Filme schreiben und Plakate kaufen.
Der fachkundige Mann aus der Filmbranche wird unsere Begeisterung hierüber jedoch mit Skepsis betrachten. Er kommt mit der durchaus berechtigten Frage: »Wie sieht es denn aber an der Kinokasse aus?«
Gewiss, wir haben als künstlerischer Filmverleih Neuland betreten, und es lag daher nahe, auch in der Werbung neue Wege zu gehen. Inzwischen ist aber auch in der Filmbranche, die von mancherlei Konkurrenz und Besucherrückgang geplagt wird, der Ruf nach Qualität lauter geworden. Und glaubt denn jemand im Ernst, daß niemand mehr ins Kino ginge, wenn die gesamte Filmbranche nur noch durch qualitätsvolle Plakate für ihre Filme werben würde?
Stehen etwa in Polen die Kinos leer, weil die polnischen Filmfirmen hervorragende Plakate herstellen lassen, die mit Recht international berühmt geworden sind?
Der Erfolg der Filmwerbung zeigt sich an den Besucherzahlen. Unsere Kunden, die Theaterbesitzer, wissen es bereits, daß ein Plakat der Neuen Filmkunst immer etwas Besonderes ist. Selbst wenn ihr persönlicher Geschmack in andere Richtung geht, machen sie doch bereitwillig Gebrauch davon, weil eben für »solche« Filme »solche« Plakate richtig sind. Und nachhaltiger kann die individuelle Wirkung eines Plakates doch wohl kaum sein, als daß der Besucher uns schreibt, wie sehr ihm der Film gefallen hat, und daß er deshalb auch gerne das Plakat besitzen möchte. Der Erfolg und die Besucherzahlen der Neuen Filmkunst zeigen jedenfalls, daß auch eine neuzeitliche Werbung beim Publikum ankommt. Niemand wird uns deshalb die Frage über eine Bemerkung verargen, die vor kurzem ein Hamburger Journalist machte: »Sie sind mit ihren Filmplakaten die Polen Deutschlands.« Das sollte aller-dings alle, die es betrifft, nachdenklich stimmen.
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